Ob Koffein zu einer Abhängigkeit führen kann oder nicht, wird kontrovers diskutiert.
Gewohnheit führt zu Toleranz
Befürworter führen eine Toleranzentwicklung durch regelmäßigen Koffeingenuss und Entzugserscheinungen nach Abstinenz an. Tatsächlich kann man bei regelmäßigem Koffeinkonsum eine Toleranzentwicklung oder Gewöhnung beobachten. Sie erklärt sich daraus, dass der Körper auf die wiederholte Verdrängung des Adenosins an den Rezeptoren mit einer Erhöhung der Adenosinrezeptoren-Dichte reagiert [1].
Entzugssymptome durch Koffeinabstinenz möglich
Bei gewohnheitsmäßigen Kaffeetrinkern könnten daher Entzugssymptome auftreten, die sich aus der physiologischen Wirkung des Koffeins ableiten lassen. Dazu gehören vor allem Kopfschmerzen, Schläfrigkeit, Konzentrationsschwierigkeiten oder schlechte Stimmung [2]. Typischerweise tauchen die Symptome 12 bis 24 Stunden nach Koffeinabstinenz auf. Sie verschwinden nach zwei bis spätestens
neun Tagen wieder und lassen sich komplett umgehen, wenn statt einer plötzlichen Koffeinabstinenz eine schrittweise Reduktion erfolgt [3, 4]. In einer Studie aus dem Jahr 2016 wurde gezeigt, dass ein Placebo die Entzugssymptome mildern konnte [5].
Koffeinentzug als psychische Störung?
Die American Psychiatric Association (APA) hat im Mai 2013 die fünfte Auflage des Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (DSM 5) herausgegeben, einen diagnostischen Leitfaden für psychische Störungen [6]. In dieser Ausgabe wird erstmals seit dem Erscheinen des Leitfadens im Jahr 1952 das Thema Koffeinentzug thematisiert. Koffeinentzug wird darin als ein Syndrom beschrieben, das in Folge eines abrupten Koffeinstopps auftritt. Allerdings betrifft dies, darin sind sich die Autoren des DSM mit anderen Forschern einig, nur einen Teil derjenigen Menschen, die gewohnheitsmäßig Koffein zu sich nehmen. Der Koffeinentzug war nur einer von vielen Aspekten, welche die APA neu in das Manual aufgenommen haben. Schon im Vorfeld der fünften Ausgabe des DSM gab es unter Fachleuten massive Kritik an der starken Ausweitung der Diagnosen [7].
Koffein: keine suchtauslösende Substanz
Um zu einer sinnvollen Aussage in Bezug auf das Abhängigkeitsrisiko durch Koffein zu kommen, müssen neben den Aspekten „Toleranz“ und „Entzugssymptomen“ weitere Kriterien beleuchtet werden. Eines davon ist die physiologische Grundlage für Suchtverhalten. Klassische Missbrauchsdrogen wie Amphetamine, Kokain oder Nikotin stimulieren die Freisetzung von Dopamin im Nukleus accumbens im Vorderhirn, jener Struktur, die für Belohnung, Motivation und Suchtverhalten verantwortlich ist. Anders ist das bei Koffein [8]. Es aktiviert nicht, wie echte Drogen, das suchtverstärkende Belohnungszentrum im Gehirn. Ein positives neuronales Verstärkersystem in Form einer Belohnungsspirale, wie es bei harten Drogen auftritt, spielt beim Koffein also keine Rolle. Auch treten keine für Alkohol oder andere Drogen typische Reaktionen, wie zum Beispiel antisoziales Verhalten, Persönlichkeitsveränderungen oder organische Schäden, wie beispielsweise durch Tabakkonsum, auf.
Darüber hinaus wird Koffein bzw. Kaffee oral über den Tag verteilt aufgenommen, die Resorption erfolgt mit Verzögerung, und dies wiederum verringert das Abhängigkeitsrisiko. Eine interessante Entdeckung machte ein amerikanisches Forscherteam, als es die neurobiologischen Mechanismen des Koffeinentzugs untersuchte [9]. Die Wissenschaftler stellten fest, dass eine plötzlich eingestellte Koffeinzufuhr Änderungen in der zerebralen Blutflussgeschwindigkeit und im EEG nach sich zieht, was wahrscheinlich zu den klassischen Entzugssymptomen führt. Doch umgekehrt zeigten sich bei gewohnheitsmäßigem Koffeinkonsum hinsichtlich der genannten Parameter keine Änderungen.
Die Datenlage spricht dagegen, dass sich eine echte Abhängigkeit von Koffein ausbildet. Bereits in einem Review aus dem Jahr 2006 schlugen die Autoren eine Defi nition für die Begriffe „Sucht“ und „Entzug“ vor [10]. Danach versteht man unter Sucht, dass der Betroffene dem regulären Konsum einer Droge nicht widerstehen kann und sich daraus Probleme ergeben. Koffein passt nicht in dieses Suchtprofil, es schädigt weder den Einzelnen noch die Gesellschaft. Die Autoren dieses Reviews folgerten aus dem vorhandenen Datenmaterial, dass Koffein weder nach den Kriterien des gesunden Menschenverstands noch nach wissenschaftlicher Definition eine suchtauslösende Substanz ist.
FAZIT
Koffein ist nach der wissenschaftlichen Definition keine suchtauslösende Substanz. Gewohnheitsmäßiger Koffeinkonsum kann zu einer – auch physiologisch fassbaren – Toleranzentwicklung führen. In der Folge können bei Abstinenz auch Entzugssymptome wie beispielsweise Kopfschmerzen auftreten, die allerdings spätestens nach ein paar Tagen wieder verschwinden. Ein Risiko für eine Abhängigkeit wie bei Drogen besteht nicht.
- Pritzel, M. & Markowitsch, J. Gehirn und Verhalten, Spektrum Verlag 2009.
- Juliano, L. M. et al. Drug and Alcohol Dependence, 2012.
- Juliano, L. M. & Griffi ths, R. R. Psychopharmacology, 176, 1–29, 2004.
- Nehlig, A. Are we dependent on coffee and caffeine: an update. In Nehlig, A., ed. Coffee, Tea, Chocolate and the Brain. Boca Raton, FL: CRC Press;133–146, 2004.
- Mills, L., Boakes, R.A. & Colagiuri, B. J of Psychopharmacology,1–7, 2016.
- American Psychiatric Association: Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders, Fifth Edition (DSM V), 2013.
- Tschischka, Alenka: Heiß diskutiert: DSM-V. In: Report Psychologie, Fach- und Verbandszeitschrift des Berufsverbands Deutscher Psychologinnen und Psychologen e.V. (BDP) Band 38, Nr. 5, S. 214, 2013.
- Nehlig, A., Armspach, J.P. & Namer, I.J. DialoguesClinNeurosci, 12:255–63, 2010.
- Sigmon, S.C. et al. Psychopharmacology, 204(4):573–85, 2009.
- Satel, S. The American Journal of Drug and Alcohol Abuse, 32, 493–502, 2006.